Dienstag, 19. Februar 2013

#SF #story #SFstory Auf dem Strome will ich fahren ...


Guten Tag,
nach längerer Zeit hat die Akasha - Chronik wieder einmal eine kleine Sf - story in mein Gehirn gespült. Freue mich über feedback.
Hier ist sie:
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Auf dem Strome will ich fahren, von dem Glanze selig blind!


„Warum jetzt schon, wir hätten doch noch so viel Zeit?“, fragte Wildblume versonnen. Magister zögerte ein wenig und antwortete dann nachdenklich: „Wie immer stellst Du gute Fragen, meine Blume. Es gäbe ja eine Reihe nahe liegender Antworten. Weil wir es können; weil wir neugierig und voll Forscherdrang sind …“  Sie wirbelte ein wenig herum und lachte ihn aus. Aber sie schwieg und ließ Magister wieder einmal im Ungewissen, warum sie sich denn so sehr erheiterte. „Du sollst mich nicht immer auslachen, alte Frau!“, brummte er gespielt ärgerlich, weil er sich anders nicht zu helfen wusste. Sie grinste. „Ach, komm. Ich bin kaum über 200 Jahre alt, genau wie Du!“ Sie sah versonnen auf das Sternenmeer, dass durch das riesige, fast halbrunde Panoramafenster ein leichtes, zartes Licht in die Halle warf. „Wir werden einen ganz besonderen Ausblick haben, von hier oben aus der Station.“ „Ja, das werden wir ganz sicher!“, erwiderte er mit einem Leuchten in den Augen.


Die Menschheit war alt. Und sehr enttäuscht. Ihre dokumentierte Geschichtsschreibung reichte mittlerweile nicht mehr nur über Jahrtausende, sondern über zehntausende von Jahren. Mehrfach hatte sie sich selbst an den Rand des Unterganges gebracht, seltsame Jahrhunderte hatten sich aneinander gereiht, in denen Gesellschaftsstrukturen herrschten, die im Nachhinein nur als absolut fremdartig und skurril bezeichnet werden konnten. Doch im Laufe der Jahrtausende hatte sich manches eingependelt. Extreme glichen sich einander an, Vielfalt und Logik fanden zunehmend zueinander. Die Bevölkerungszahl des Sonnensystems lag nun schon seit längerer Zeit bei moderaten 100 Milliarden Menschen und die meisten Menschen begnügten sich mit einer Lebensspanne zwischen 200 und 300 Jahren, ohne diese nochmals mit elektronischem oder androidischem Technikeinsatz künstlich zu verlängern. Der Einzelne genoss ungeahnte Freiheiten und materielle Not war unbekannt. Doch die Menschheit war allein.


„Warum hast Du für uns eigentlich die Venus vorgeschlagen?“, frug sie, „Nur mir zuliebe, weil ich dort einmal einige Jahrzehnte gelebt habe und sie sehr mag?“ Magister zögerte kurz und sah etwas verlegen zu Boden. „Na, ja – ehrlich gesagt schon deswegen, hauptsächlich.“, gab er dann zu. „Allerdings-“ er blickte sie schelmisch aus den Augenwinkeln an, „gibt es da auch noch eine gewisse uralte Mythologie hinsichtlich des Namens der Venus …“ „So, so – Mythologie.“ Wildblume blickte ihn etwas skeptisch und gespielt streng an. „Davon wirst Du mir später mehr erzählen!“


Stets nur zeitweilig unterbrochen durch dunkle Zeitalter hatte die Wissenschaft ungeheure Fortschritte gemacht. In allen Bereichen. Oder doch in fast allen. Jahrhunderte, fast schon Jahrtausende hatte man sich nicht damit abfinden können, an eine Grenze gestoßen zu sein. Als sich die Erkenntnis durchsetzte, dass sie tatsächlich bestand und nicht nieder zu reißen war, ergriff zuerst die Wissenschaftler, später fast die gesamte Menschheit eine Art Schock, eine nahezu lähmende Depression. Die Lösung dieses Problems war seit Urzeiten für die nahe Zukunft voraus gesagt worden, verschiedene Ansätze boten sich scheinbar willfährig an. Doch es gab keinen Weg. Die Lichtgeschwindigkeit war nicht überschreitbar. Interstellare oder gar intergalaktische Raumfahrt würde auf immer unmöglich sein.


Die gewaltige Raumstation umschwebte mit vielen anderen, recht ähnlichen die Venus, ganz so wie es viele weitere auf der Umlaufbahn um sämtliche Planeten des Systems taten. Lediglich im Kuipergürtel, außerhalb der Neptunbahn suchte man sie vergeblich. „Werden wir das Licht nicht vermissen?“, frug Wildblume und blickte einen kurzen Moment etwas irritiert und fast ängstlich drein. „Doch – das werden wir. Aber wir haben den Glanz der Sterne, der uns leiten wird. Auf diesem Strome werden wir fahren!“


Einige Generationen lang versuchte man, das Problem zu verdrängen, die Frustration zu ignorieren, sich schlicht auf andere Dinge zu konzentrieren. Der Ausbau aller Planeten des Sonnensystems schritt zügig voran, zumeist anhand von Terraforming – Projekten, jedoch wurde auch eifrig mit anderen Ansätzen experimentiert. Von Merkur bis Neptun, die Monde, viele Asteroiden – und einige machten sich sogar auf die weite Reise in die Oortsche Wolke, um dort zu siedeln. Immer wieder einmal gab es auch Phasen, in denen manchmal ganze Flotten von Generationenschiffen sich auf den Weg ins All machten, um so doch noch Gebiete außerhalb des Systems zu erforschen. Auch mit „Schläferschiffen“, in denen Passagiere in suspendierter Animation ruhten, versuchte man sein Glück. Doch dies betraf insgesamt nur einige hunderttausend Menschen und selten hörte man nach langer Zeit einmal auf irgendeine Weise wieder von ihnen - und wenn dann selten mehr als einen kurzen Gruß.


Magister und Wildblume nahmen überrascht das Signal wahr. „Wir wollten doch nicht gestört werden. Aber ich sehe, es ist von höchster Wichtigkeit und speziell an mich gerichtet.“ Magister hob leicht den Kopf und sagte: „Sprich, Gehirn!“ „Guten Tag, hier spricht Erwin persönlich. Magister – habe ich eigentlich jemals erwähnt, dass ich den individuell von Dir an mich vergebenen Namen höchst profan und albern finde? Für ein quantenelektronisches Gehirn, dass mit dem gesamten Solarsystem verknüpft ist, meine ich jetzt?“ „Hast Du. Eben zum exakt 126ten Male. Aber Heute ist mir nicht nach Scherzen. Was gibt es, Gehirn?“   
„Gut.“ Erwin wurde sachlich. „Es ist so, dass etliche aus der Bevölkerung die Idee hatten, es solle doch eine einzelne Person den konkreten Startbefehl geben, sozusagen. Statt eines automatischen countdowns. Ich habe dann rumgefragt. Ihr hattet die Anfrage auch vorhin, aber ihr wolltet ja von Dingen dieser Prioritätsstufe nicht gestört werden. Die klare Mehrheit aller die abgestimmt haben, war dafür!“ „Gut.“, sagte Magister knapp. „Dann soll das so sein, keine schlechte Idee, das hat etwas persönliches. War es das dann?“ „Hm, nein.“ Erwin schien kurz zu zögern. „Es ist so – ich habe das dann wie immer bei solchen Sachen per Zufallsgenerator ausgelost …“  „Und?“  „Na ja. DU bist derjenige, Magister. Du bestimmst, wann es losgeht. “Magister wurde etwas blass, musste sich sammeln und atmete einmal kräftig durch.  „Oh. Das … - ist doch statistisch völlig unwahrscheinlich.“, brachte er hervor. „Wem sagst Du das!“, erwiderte Erwin. „Aber. Nun ja. EINEN musste es halt eben treffen.“  Magister fasste sich relativ schnell.  „Erwin“, frug er, „in diesem besonderen Fall habe ich das Recht, selbst eine Abstimmung zu fordern, die mit der Thematik unmittelbar zu tun hat?“  Erwin zögerte nicht. „Hast Du, ganz klar! In diesem Fall hier auch als Einzelperson.“  „Gut, denn, Erwin. So frage die Bevölkerung des solaren Systems bitte folgendes: Ist die Gemeinschaft damit einverstanden, wenn Magister sein Recht und seine Pflicht das Signal zum Aufbruch zu geben abtritt an die Frau, die er liebt, an Wildblume?“  „Sofern sie dies annimmt, natürlich.“, fügte er hinzu.  „Wird gemacht!“, verkündete Erwin. „Die Zeit läuft, die üblichen 15 Minuten. Ich bitte um Geduld.“


Neugier und Forschungsdrang der Menschheit waren tatsächlich unverändert groß – doch auch eine gewisse Hartnäckigkeit, die das Problem des „im System gefangen seins“ nicht wirklich zu den Akten legen konnte, behielt ihren Platz in den Herzen der Menschen. Die Möglichkeiten der Technik wuchsen und wuchsen immer weiter an. Und eines Tages lag die „Umgehungslösung“ schlicht auf der Hand. Einzelne Schiffe auszusenden befriedigte nicht wirklich. Die Kränkung durch die Naturgesetze, die Menschheit an nur ein einziges, kleines Sonnensystem unbarmherzig zu fesseln, war groß. Nicht zu Unrecht vertraten die Verfechter der Idee, die nun auf dem Tisch lag die Ansicht, dass diese Maßnahme ohnehin würde stattfinden MÜSSEN – wenn auch zwingend erst in „nicht wirklich naher Zukunft“.
Dieses rationale Argument allein hätte also ganz sicher bei der Abstimmung nicht genügt. Aber dann war da halt eben noch diese Sache mit der Sehnsucht nach dem Unbekannten, mit der Neugier – und der Sturheit. Die Menschheit entschied sich fast einstimmig.


„Die Abstimmung ist beendet!“, ließ sich Erwin nach einiger Zeit vernehmen. Da niemand etwas sagte, fuhr er fort. „Eine sehr große Mehrheit ist mit der Abtretung an Wildblume einverstanden. Darf ich persönlich hinzufügen, dass auch ich dies für eine wirklich rührende Geste halte?“  „Nein.“, beschied ihm Magister knapp, aber seine Stimme klang nicht wirklich unfreundlich dabei. Erwin gab ein Geräusch von sich, das einem menschlichen Räuspern sehr ähnlich klang.  „Gut. Nimmst Du an, Wildblume?“ Sie nickte stumm. Eine Zeitlang herrschte Stille, Magister und Wildblume sahen einander tief in die Augen. Mit einfühlsamer Stimme meldete sich nach einiger Zeit das Gehirn. „Wildblume … alles ist vorbereitet. Alle sind bereit. … Soll es beginnen?“  Sie griff nach Magisters Hand und erhob ihr Gesicht zu den Sternen. „JA!“


Ein wahrlich majestätischer Anblick bot sich nun im gesamten System. Kleine Kunstsonnen über allen Planeten wurden gezündet, glommen vorerst aber nur matt. Planetenumspannende Schutzschirme schlossen sich schützend um Atmosphären. Und dann – machte die Menschheit sich auf den Weg. Mit den größten Raumschiffen, die denkbar waren – den Planeten ihres Sonnensystems, die nun in acht Richtungen des Kosmos davon strebten.
Einige hundert Millionen Menschen hatten es vorgezogen, im heimatlichen System zu bleiben. Sie hatten sich auf den Asteroiden des Kuipergürtels gesammelt und auf einigen Monden, die man ihnen gern zurück ließ. Diese „Sol-Treuen“ hatten sich noch ein kleines Abschiedsgeschenk an die Aufbrechenden überlegt, ein farbenprächtiges Lichtspiel und Feuerwerk, das die Scheidenden ein letztes Mal grüßte.



„Unser erstes Ziel, Magister?“                           

„51 Pegasi im Sternbild Pegasus, 50 Lichtjahre von hier. Du weißt es doch.“                      

„Stimmt. Das ist unser erstes Ziel. Aber ganz sicher nicht das letzte für das Planetenschiff Venus!“, lächelte sie.


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(von BukTom Bloch)

Samstag, 16. Februar 2013