Hartz IV -Arbeitslos, verschuldet, süchtig (von Thomas Öchsner)
Süddeutsche.de
27. Dezember 2013 08:35
http://www.sueddeutsche.de/politik/hartz-iv-arbeitslos-verschuldet-suechtig-1.1851354
Das ist ein sehr wichtiger Artikel - über den man reden sollte. Und zwar möglichst ohne Polemik und ohne extrem einseitige Interpretation.
Ich habe zuerst den Artikel gelesen, dann einige Kommentare. - Sie entsprachen - leider - meinen Befürchtungen. Ich greife das pointiert heraus: (Zitat) "Die Überschrift ist wie immer diffamierend und irreführend", heißt es da z.B.
Ok ... Wie lautet die Überschrift? "Arbeitslos, verschuldet, süchtig".
Gegen das erste Wort dürfte nichts zu sagen sein - das ist ja das Thema. Verschuldet und süchtig folgen. "Süchtig" ist natürlich verkehrt, weil es "Abhängigkeitskrank" heißt.
In der Tat leben wir in einer "Suchtgesellschaft", die Mechanismen der Sucht sind denen des Kapitalismus sehr ähnlich. Ich habe darüber veröffentlicht.
http://www.arslongavitabrevis.de/media/KOMPENDIUM.pdf
Und in der Tat besteht eine GEGENSEITIGE WECHSELWIRKUNG von Verschuldung / Sucht / psychischen Beschwerden und Arbeitslosigkeit.
Wobei man "Arbeitslosigkeit" aufsplitten muss in die Arbeitslosigkeit als solche und die schlechte, unprofessionelle und zum Teil inhumane und unwürdige Behandlung durch die jobcenter.
Daher ist der Anteil von abhängigkeitskranken und im hier gemeinten Sinne verschuldeten / überschuldeten Menschen unter den ALG II - Empfänger_innen etwas höher als im Gesamtdurchschnitt der Bevölkerung. Das zu leugnen wäre nicht klug und nicht glaubwürdig.
Wobei, wie gesagt, Ursachen und Wirkungen in gegenseitiger Wechselwirkung stehen, das kann ich gar nicht oft genug wiederholen.
Mir ist schon jetzt klar, welcher Aufschrei da wieder durch die radikaleren Flügel der Hartz IV - kritischen Szene gehen wird.
"Stigmatisierung", Vorurteile, etc. - Leute. So kommen wir nicht weiter!
Realitäten müssen wir uns stellen. Als Insider weiß ich, dass es SEHR viele Untergruppen bei den ALG II - Berechtigten gibt. Siehe auch hier:
http://tombbloggt.blogspot.de/p/alg-ii-kundengruppen.html
Arbeitslos zu sein ist in aller Regel keine persönliche Schuld. Psychische Probleme zu haben, ebenfalls nicht. Und hinsichtlich einer seelischen Erkrankung wie Sucht gilt dasselbe. Ich selbst bin nicht nur qualifizierter, langjähriger (Ex-) Fallmanager, ich bin auch Mehrfachabhängiger und jetzt über 20 Jahre trocken / clean.
Auch verschuldet zu sein ist kein Makel - jeder "Häuslebauer" ist das, viele Firmen, etc.
Ein echtes und substanzielles Problem wird dies nur, wenn es z.B. / u.a. mit Arbeitslosigkeit zusammen trifft.
Ich höre schon jetzt einen weiteren Aufschrei. Die jobcenter verhalten sich derart mies - nun wollen sie auch noch Berater und Therapeuten spielen?!
Aus der Erfahrung der letzten Jahre und nachdem, was ich in Alo- / Elo - Foren lese - kann ich das verstehen und nachvollziehen.
In der Tat war und ist aber nie gemeint und gewollt gewesen, dass das jobcenter selbst beraterisch / therapeutisch tätig wird.
Und die Leistungsabteilungen und AV (Arbeitsvermittler_innen) hatten, haben und werden nie mit diesen Thematiken befasst sein.
Anders gedacht, geplant und als Arbeitsauftrag gegeben war das URSPRÜNGLICH bei den Fallmanager_innen. Ich spreche jetzt von 2004 / 2005 herum!
Mit entsprechender Vorerfahrung und Qualifizierung
( siehe etwa so etwas wie hier: http://omniavincitamor.de/40350/79001.html ) - sollte das Fallmanagement "Manager sinnvoller Hilfen" sein.
Das Fachkonzept dazu findet sich noch heute, siehe hier:
http://tombbloggt.blogspot.de/p/das-fachkonzept-fallmanagement-bfm-2005.html
- Und dazu stehe ich. Das finde ich richtig, das finde ich gut.
Darum (!) habe ich mich seinerzeit darauf eingelassen, überhaupt Fallmanager zu werden - und tatsächlich konnte ich auch vielen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe erfolgreich anbieten. In Kooperation, auf Augenhöhe.
Und ich hätte ein ganz mieses Gefühl, diese völlig allein zu lassen, ihnen dieses Angebot ersatzlos zu entziehen - damit ich sie bloß nicht (angeblich) "diskriminiere"!
Ich bin stolz darauf, immer mal als "Gutmensch" bezeichnet zu werden und trage diese Bezeichnung gern.
Aber DAS - wäre wirklich die falscheste Art von "gut gemeint"!
MfG
Burkhard Tomm-Bub, M.A.
67063 Ludwigshafen
- Ex - Fallmananger -
- Ehrenamtlicher Suchtkrankenhelfer -
Foto: B.Tomm-Bub, cc