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#ICD-11 & #ICD-10 Modell Prof. Lieb - auch bei Lyme /Borreliose / ME/CFS?
Prof. K. Lieb ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Mainz.
Schon sehr früh (2023) hat er gefordert, dass im Bereich der Psychiatrie die ICD-10 und ICD-11 parallel genutzt werden. Weiß man näheres darüber ob und wie das weiter ging?
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Prof. Klaus Lieb (Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz) hat sich, wie viele führende Vertreter der akademischen Psychiatrie in Deutschland (und auch die Fachgesellschaft DGPPN), tatsächlich stark dafür eingesetzt, dass die ICD-11 (11. Revision der Internationalen Klassifikation der Krankheiten) in der Psychiatrie zeitnah Einzug hält, auch wenn die bürokratische Mühlen langsam mahlen.
Zum aktuellen Stand (Dezember 2025) und der Umsetzung seiner Forderung nach einer "parallelen Nutzung" lässt sich Folgendes sagen:
1. Der Status Quo: "Denken in ICD-11, Abrechnen in ICD-10"
Die Forderung von Prof. Lieb und der Fachgesellschaften hat sich in der klinischen Praxis an Universitätskliniken weitgehend durchgesetzt, allerdings in einer spezifischen Form:
Rechtlich/Abrechnung (BfArM): Offiziell gilt in Deutschland für die Abrechnung mit Krankenkassen nach wie vor die ICD-10-GM (German Modification). Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) arbeitet an der deutschen Fassung der ICD-11, aber eine flächendeckende, verpflichtende Einführung zur Abrechnung wird erst in einigen Jahren (Prognosen gehen oft Richtung 2027 oder später) erwartet.
Klinisch/Therapeutisch (Die "parallele" Realität): In der Behandlung, Diagnostik und Forschung wird an fortschrittlichen Kliniken (wie in Mainz) bereits parallel gearbeitet.
Ärzte werden dazu angehalten, diagnostisch nach ICD-11 zu denken, da diese medizinisch viel genauer und aktueller ist.
Für das System muss diese Diagnose dann jedoch in einen ICD-10-Code "übersetzt" werden (Mapping).
2. Warum war Lieb diese Forderung so wichtig?
In der Psychiatrie sind die Unterschiede zwischen ICD-10 und ICD-11 gravierend, weshalb eine reine Nutzung der ICD-10 als "Kunstfehler" in der Behandlung angesehen werden könnte. Die parallele Nutzung ist daher notwendig für:
Persönlichkeitsstörungen: Die ICD-11 schafft die starren Schubladen (z.B. "Borderline", "Narzisstisch") weitgehend ab und ersetzt sie durch ein dimensionales Modell (Schweregrad der Störung + Persönlichkeitsdomänen). Das ist für die Therapieplanung essenziell.
Komplexe PTBS: Die ICD-11 führt die "Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung" als eigene Diagnose ein, die in der ICD-10 fehlt. Wer hier nicht "parallel" die ICD-11 nutzt, diagnostiziert und behandelt Patienten oft falsch.
Spielsucht / Gaming Disorder: Auch hier bietet die ICD-11 neue, notwendige Kategorien.
3. Was ist aus der Initiative geworden?
Die Forderung nach paralleler Nutzung ist in der Fachwelt (DGPPN) auf fruchtbaren Boden gefallen und wird in der Aus- und Weiterbildung umgesetzt:
Lehre: An der Uniklinik Mainz und anderen Universitäten lernen Studierende und Assistenzärzte bereits primär die Konzepte der ICD-11.
Publikationen: In Fachzeitschriften (Der Nervenarzt, dessen Herausgeberboard Prof. Lieb angehört) ist die ICD-11 mittlerweile der Standard für wissenschaftliche Diskussionen.
Software: Viele Klinik-Informationssysteme beginnen, beide Codesysteme parallel abbildbar zu machen, um die spätere Transition zu erleichtern (sogenanntes "Dual Coding").
Fazit
Die "offizielle" parallele Nutzung (dass man sich aussuchen kann, was man auf den Abrechnungsschein schreibt) wurde vom Gesetzgeber nicht eingeführt – hier gilt stur die ICD-10.
Aber die inhaltliche parallele Nutzung, die Prof. Lieb gefordert hat, ist in der modernen Psychiatrie Realität geworden: Man diagnostiziert modern (ICD-11), um gut zu behandeln, und kodiert veraltet (ICD-10), um bezahlt zu werden.
Ein Mangel in anderen medizinischen Bereichen (Beispiel Lyme / Chronische Borreliose und ME/CFS) ist, dass den Patient:innen nach ICD-10 von den Kassen wichtige Tests und Medikamente NICHT erstattet werden.
Wie ist das in dem Modell von Lieb? Konnten / können die Patien:innen hier finanziell entlastet werden?
Weitere Frage: wäre es möglich, sein Modell modifiziert auf die genannten Krankheitsbereiche) zu übertragen?
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Das
ist eine extrem wichtige und scharfsinnige Frage, die den Kern des
Problems im deutschen Gesundheitssystem trifft: Die Diskrepanz
zwischen medizinischer
Notwendigkeit
(Diagnose) und kassenärztlicher
Erstattung
(Bürokratie).
Um es vorwegzunehmen: Die Antwort ist ernüchternd, zeigt aber genau auf, wo die Grenzen des "Lieb-Modells" (parallele Nutzung) liegen.
1. Hat das Modell in der Psychiatrie die Patienten finanziell entlastet?
Leider nein, oder nur sehr indirekt.
Prof. Liebs Vorstoß zur parallelen Nutzung zielt primär auf die Qualität der Behandlung, nicht auf die Abrechnung.
Das Problem: Die Krankenkassen (GKV) zahlen nicht für eine Diagnose, sondern für eine Leistung, die im sogenannten Leistungskatalog (EBM) steht. Und dieser Katalog ist streng an die ICD-10 gekoppelt.
Die Realität: Wenn ein Arzt in Mainz eine "Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung" (ICD-11: 6B41) diagnostiziert, kann er diese zwar behandeln (was für den Patienten medizinisch ein Segen ist!), aber er muss auf dem Abrechnungsschein eine "Hilfskonstruktion" aus der ICD-10 basteln (z.B. F43.1 + F62.0), damit die Kasse die Therapiestunden bezahlt.
Kein neues Geld: Es werden dadurch keine Medikamente erstattet, die nicht auch vorher schon für die ICD-10-Diagnose zugelassen waren. Medikamente sind streng an Indikationen gebunden. Wenn ein Medikament für "ICD-10 Fxx" nicht zugelassen ist, hilft auch die präzisere ICD-11-Diagnose nicht, um die Erstattung zu erzwingen (Regressgefahr für den Arzt).
Der einzige finanzielle Vorteil: Patienten bekommen schneller die richtige Therapie, was ihnen persönlich lange Leidenswege und unnötige Ausgaben für wirkungslose Selbstversuche erspart.
2. Wäre das Modell auf ME/CFS und Chronische Borreliose übertragbar?
Ja, das Modell des "Denkens in ICD-11" ist übertragbar und wäre medizinisch extrem wichtig, aber es würde das finanzielle Erstattungsproblem (Tests/Medikamente) derzeit nicht lösen.
Hier ist der Grund, warum es bei diesen speziellen Erkrankungen noch komplizierter ist als in der Psychiatrie:
Fall A: ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom)
ICD-10-Falle: In Deutschland wird ME/CFS oft fälschlicherweise als "Müdigkeitssyndrom" (G93.3) oder schlimmer, als psychische Störung (F48.0 Neurasthenie / F45 Somatisierung) kodiert.
ICD-11-Hoffnung: Die ICD-11 (Code 8E49) stellt klar: Es ist eine neurologische/multisystemische Erkrankung und schließt psychische Ursachen explizit aus.
Die Konsequenz der "parallelen Nutzung":
Medizinisch: Ein Arzt, der ICD-11 nutzt, würde aufhören, schädliche Aktivierungstherapien (GET) zu verschreiben, die bei psychischen Erkrankungen helfen, aber bei ME/CFS schaden (PEM). Das wäre ein riesiger Fortschritt.
Finanziell: Es gibt im Katalog der gesetzlichen Kassen kaum zugelassene spezifische Medikamente oder Blutwäschen (Immunadsorption) für ME/CFS – egal ob es ICD-10 oder 11 heißt. Die Kasse sagt: "Diese Therapie steht nicht im Leistungskatalog des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)." Eine neue Diagnose öffnet leider nicht automatisch die Tür zum Tresor der Kassen.
Fall B: Chronische Borreliose / Post-Treatment Lyme Disease
Der Konflikt: Hier ist das Problem nicht nur der Code, sondern die Leitlinie. Die Schulmedizin (vertreten durch IDSA/neurologische Leitlinien) erkennt die "Chronische Borreliose" (die dauerhafte Antibiotika erfordert) oft gar nicht als solche an, sondern spricht vom "Post-Lyme-Syndrom", für das keine weitere Antibiotikagabe empfohlen wird.
Das Hindernis: Selbst wenn man ICD-11 nutzt (hier gibt es Codes für Spätfolgen), erstatten die Kassen teure Langzeit-Antibiosen oder spezielle Tests (LTT etc.) nicht, weil der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) diese Methoden als "nicht ausreichend evidenzbasiert" eingestuft hat.
Fazit: Eine "parallele Nutzung" würde hier wenig helfen, solange die offiziellen Behandlungsrichtlinien die von den Patienten gewünschten Therapien als unwirksam einstufen.
Zusammenfassung & Ausblick
Das Modell von Prof. Lieb ist ein intellektuelles und klinisches Werkzeug, kein juristisches.
Diagnostische Gerechtigkeit: Ja, es würde ME/CFS- und Borreliose-Patienten helfen, ernst genommen zu werden (keine Abschiebung in die Psycho-Ecke). Das ist der erste Schritt zur Besserung.
Finanzielle Blockade: Um Tests und Medikamente erstattet zu bekommen, muss nicht nur der ICD-Code geändert werden, sondern die Richtlinien des G-BA.
Solange der G-BA sagt: "Test X ist nicht notwendig" oder "Medikament Y hat keinen Nutzenbeleg", ist es der Kasse egal, wie modern der Arzt die Krankheit im Computer benennt (ICD-11). Sie zahlt nicht.
Lösungsweg: Patientenverbände (wie bei ME/CFS bereits sehr aktiv) nutzen die ICD-11 als politischen Hebel, um Druck auf den G-BA auszuüben, damit die Leitlinien und Leistungskataloge angepasst werden. Erst dann fließt das Geld.