Malt sie sich, mahlt er sie in sich...? =Der Blog für alles Andere. Auch für aktuelle "Hartz IV - Termine / Themen". Der ältere "BukTomBlog" war für Second Life - Themen gedacht, einer Welt in der virtual reality (VR), bzw. für die Darstellung deutschsprachiger kultureller /wohltätiger Aspekte dort. Alle anderen Themen sind nun hier. Alles, was sich ansonsten malt & mahlt.
Freitag, 11. August 2017
Hartz IV Ihr Herren Professoren
#HartzIV #Sanktionen
Hartz IV Ihr Herren Professoren
BETREFF:
http://doku.iab.de/kurzber/2017/kb0517.pdf
(Bericht im Link von: Gerard J. van den Berg, Arne Uhlendorff und Joachim Wolff)
Sehr geehrte Herren Professoren,
vergeblich ist es sicherlich, dass ich Ihnen schreibe.
Doch hier stehe ich, ich kann nicht anders...
Oder, um es frei nach Franz Kafkas "Vor dem Gesetz" zu sagen: ich versuche es, um nicht glauben zu müssen, etwas versäumt zu haben.
Gleichwohl.
"Nun gut, wer bist du denn?" werden Sie dann vielleicht fragen.
Ich habe ein Diplom und bin Magister gar.
Und mehr als "zehen Jahr" habe ich als Sozialfachkraft und später als Fallmanager im jobcenter mit den zu beratenden Menschen gearbeitet. Die jetzt "Kunden" heißen...
Um genau zu sein: vier Jahre unter dem BSHG und dann sieben Jahre lang unter dem SGB II.
Dann wurde ich übrigens aus dem jobcenter gebosst (=mobbing durch Vorgesetzte), aber das tut hier nichts zur Sache. Das Schicksal der als "Hartzler" verhöhnten Menschen ist oftmals weit schlimmer und härter.
Meine Botschaft an Sie ist kurz:
Die Kritiker des SGB II und insbesondere der Sanktionen im ALG II sind im Recht.
Die Befürworter des SGB II und insbesondere der Sanktionen sind im UNRECHT.
Das ist eigentlich alles.
Die Befürworter sind weis` und ehrenwert (das sind sie alle, alle ehrenwert) und werden sicherlich mit Gründen Rede stehn.
Nicht euer Herz zu stehlen, komme ich, ihr Herren Professoren,
Ich bin kein Redner, wie es Nahles ist,
Nur, wie ihr alle wißt, ein schlichter Mann
Der Menschlichkeit ergeben und eben der Gerechtigkeit.
Ich habe weder Witz noch Wort' und Würde,
Noch Kunst des Vortrags noch die Macht der Rede,
Der Menschen Blut zu reizen; nein, ich spreche
Nur gradezu und sag euch, was ihr wißt.
Audi alteram partem!
Ex iniuria ius non oritur!
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...und hier noch etwas prosaischer einige Ergänzungen.
Bei manchen Dingen, die ich lese oder als Interview höre, habe ich klare Eindrücke.
Es ist für mich schnell klar, dass die Akteuer*innen sich entweder gar nicht wirklich für das Thema Hartz IV interessieren, geschweige denn etwa für Menschen.
Oder es wird rasch deutlich, dass es sich um Personen handelt, die strikt "im Auftrag" handeln. Für Geld, letztlich und genau genommen.
"Mischtypen" sind möglich und vorhanden.
Und dann gibt es Fälle wie die Ihren, wenn auch nicht sehr häufig.
Da scheint schon ein wenig Interesse am Thema auf, da entsteht der Eindruck, dass Schicksal von Menschen, Humanität und Ethik nicht zwingend Fremdworte sind...
Oft erschütteren mich schriftliche Äußerungen von dieser Seite aber am meisten. Ohne zu übertreiben: mir laufen kalte Schauer über den Rücken.
So auch hier.
Das muß für Sie frech, provozierend und rätselhaft klingen.
Ich gebe zwei Beispiele aus Ihrer Arbeit:
"Werden unter-25-jährige ALG-II Bezieher innerhalb eines Jahres zum zweiten Mal sanktioniert, verstärkt sich die Wirkung auf die Abgangsrate in Beschäftigung."
Na wunderbar. Ziel erreicht, zumindest teilweise.
Selbst wenn wir solchen "Krempel" wie Ethik und Humanität mal beiseite lassen, kann man diverse kritische Fragen an diese Aussage knüpfen.
+ In welchem Ausmaß verstärkt sich diese Wirkung, ist dieses überhaupt nennenswert?
+ Wäre diese Wirkung durch qualitativ andere Interventionen auch oder nicht sogar stärker zu erzielen?
+ Wie nachhaltig ist der Effekt dieser verstärkten Abgangsrate, wann kommen die jungen Menschen zur anderen Seite der Drehtür wieder hinein ins jobcenter (um mal ein wenig polemisch zu sein)?
+ Wohin erfolgt dieser Abgang, erfolgt er nicht in aller Regel in Leiharbeit, Zeitarbeit, unqualifizierte Beschäftigung, in Arbeitsstellen mit schlechten / ungesunden Arbeitsbedingungen, u.ä.?
+ Wen treffen zwei Sanktionen nacheinander eigentlich? Die raffinierten, faulen, (halb)kriminellen Drückeberger unter den jungen Menschen? (Spoiler: mitnichten! Vorrangig die in akuten sozialen Problemlagen befindlichen, intellektuell eher herausgeforderte, kranken und ähnliche belastete Menschen! Die erstgenannten sind da clever und routiniert genug, um derlei zu vermeiden.)
Ich bin nicht nur Erziehungswissenschaftler, sondern auch Sozialarbeiter.
Von daher interessieren mich natürlich auch noch weitere Fragen.
+ Wie rechtfertigt sich eigentlich JEDWEDE Sanktion, wenn doch "Hartz IV" das ExistenzMINIMUM darstellt? Und, das wissen wir objektiv, der Regelsatz ist da mehr als knapp berechnet...!
Kann ein Professor noch einschätzen, was es heißt, monatlich MAXIMAL 409,- Euro zu bekommen. Für ALLES. Minus Stromkosten und unter steter Sanktionsandrohung um bis zu 100%?
Ich sage nein.
Und bitte: jetzt keine Geschichten über die Studienzeit, in der man nebenher in der Flaschenfabrik arbeiten musste! Solche Vergleiche hinken regelmäßig auf mindestens drei bis vier Füßen - und bei ehrlichem Nachdenken kommt man da auch darauf, wieso sie das tun.
Noch einmal das Zitat:
"...verstärkt sich die Wirkung auf die Abgangsrate in Beschäftigung."
Aha.
Und wie ist es mit der Abgangsrate in (psychische und physische) Erkrankungen, verstärkte soziale Konflikte, Drogensucht, Selbstmord, Kriminalität und ähnliches?
Verstärken sich diese Raten nicht? Sie tun es.
Ergo stellt sich die Frage: was ist das EIGENTLICHE Ziel?
Arbeitslosenstatistiken kurzfristig zu sanieren?
Danach sieht es sonnenklar aus! Nachhaltigkeit, das Wohl der Menschen, das Abwägen was welchen Preis wert ist, oder eben gerade nicht: all` dies bleibt Außen vor...
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In Ihrer Arbeit wird deutlich, dass Sie durchaus menschliche Regungen zeigen und vorschlagen, das Ausmaß der Grausamkeiten etwas zu reduzieren.
Ich zitiere:
"... Vor dem Hintergrund dieser Forschungsergebnisse wäre eine Reform des Sanktionssystems denkbar, die sehr einschneidende Leistungsminderungen durch Sanktionen vermeidet, aber Anreize zur Arbeitsuche aufrechterhält. So könnten die Sonderregelungen für Unter-25-Jährige abgeschafft werden und für alle Sanktionierten die Regelungen der Ab-25-Jährigen gelten, bei denen eine erste Sanktion wegen Pflichtverletzungen bei 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs liegt und die erste (nicht aber die zweite) wiederholte Sanktionierung mit 60 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs auch weniger hoch ausfällt. ..."
Wie gesagt. Das erzeugt kalte Schauer bei mir.
Ihre Absichten sind im Ansatz ehrenwert.
Es wird jedoch weiterhin keinerlei Empathie deutlich, etwa in Hinsicht darauf, wie wenig maximal 409,- Euro minus Stromkosten eigentlich sind. Und was JEDE Kürzung da bedeutet!
Statt dessen wird an der "Schwarzen Pädagogik" festgehalten.
Anreiz ist nur, was Strafe ist!
Wie falsch!
Wir sind mehr als ein Jahrhundert weiter in der Pädagogik und in der Psychologie.
Der nur geringe, nicht nachhaltige und destruktive Kollateraleffekte erzeugende Effekt von Strafe ist mehr als notwendig und hinreichend erforscht. Und Alternativen wurden längst gefunden, geprüft und ausformuliert. Ein trauriges Bild, ein trauriges "Spiel"!
Welches aber bitterer Ernst ist, für sehr viele Menschen im sechstreichsten Land der Erde.
Ich sende Ihnen als Anhang (pdf) mein "Handbuch Widerstand gegen Hartz IV!".
Sollten Sie bösartige Schadsoftware darin vermuten: hier ist ein Link, der ebenfalls einen guten Einstieg in die Realität bildet:
http://kopfmahlen.blogspot.de/2017/03/gegen-hartz-iv-der-bericht.html
MfG / Ab imo pectore
Burkhard Tomm-Bub, M.A.
- Ex-Fallmanager im jobcenter -
- Magister der Erziehungswissenschaft (NF:Psychologie/Soziologie) -
- Diplom - Sozialarbeiter (FH) -
- Staatlich anerkannter Erzieher -
- Ehrenamtlicher Suchtkrankenhelfer -
- Ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer -
- Hartz IV - Aktivist -
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Danke dafür.
AntwortenLöschenAllein...es wird vergeb'ne Liebesmüh bleiben.
Eine "Klassenübergreifende, gar Klassenignorierende Empathie" ist von hohem Seltenheitswert.
So wird es dem Professor weiterhin einigermaßen mühelos möglich sein, Mitgefühl mit einem "gechassten" Kollegen zu empfinden, jedoch wird dieses Mitgefühl regelhaft nicht gegenüber einem Leiharbeiter entstehen können (Ausnahmen mag es geben, diese Menschen lassen sich dann aber gewiss nicht vor den politischen Karren spannen, diese Menschen werden aus gutem Grund erst gar nicht gefragt.
Resignierte Grüße
E.